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"Es war richtig, dass Deutschland keine Waffen geliefert hat"

Margot Käßmann und Karsten Wächter zum Ukrainekrieg

Ein Interview am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine: Die Theologen Margot Käßmann und Karsten Wächter diskutieren.

Für den Frieden heute brauchen wir vor allem …

Margot Käßmann: … Hoffnung, Gebete und Fantasie.

Karsten Wächter: Und einen langen Atem. Das ist ja jetzt die Ernüchterung: So viele sind nach Russland gefahren und haben es mit Gesprächen versucht. Aber offenbar ist es nicht die Zeit für Kompromisse, die Fronten sind verhärtet.

Käßmann: Es wäre doch die Stunde der Kirchen, diese langjährigen Beziehungen zu nutzen. Putin zeigt sich ja sehr gern mit Kyrill und Kyrill mit Putin. Putin erklärt ja geradezu, er befreie unterdrückte Christen. Da sollte vom Patriarchen Widerspruch zu hören sein. Die Russisch-Orthodoxe Kirche gehört schließlich seit Jahrzehnten dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Konferenz europäischer Kirchen an.

Von der Friedensbewegung hört man gar nichts, sagen manche …

Käßmann: Für mich stimmt das nicht, ich kriege jeden Tag zwei Petitionen zur Unterschrift. Ich wünsche mir Friedensgebete in jeder Kirche, jeden Tag um 17 oder 19 Uhr, Kerzen in die Fenster … das klingt hilflos, aber es wäre ein Zeichen.

Wächter: Ich spüre eine große Ratlosigkeit. Putin macht, was er will. Ich glaube auch, wir können nur beten, Kerzen anzünden, uns zusammenstellen, Lieder singen.

Käßmann: Ich denke nicht nur an die Menschen in der Ukraine, sondern auch an die Menschen in Russland, die diesem alten Egomanen ausgesetzt sind. Das scheint der letzte Versuch von Putin zu sein, zu zeigen, dass er ein starker Mann ist. Es ist natürlich entsetzlich, dass ein ganzes Volk – und noch ein weiteres Volk – diesem Mann ausgeliefert sind. Ich denke auch an die Soldatinnen und Soldaten, die seit Monaten unweit der Grenze stehen in Angst, dass der Krieg anfängt. Und an deren Angehörige.

War es richtig, dass die Bundesregierung keine Waffen geliefert hat?

Wächter: Ja! Putin hätte eine Waffenlieferung als Aggression gedeutet. Der russischen Streitmacht, dieser hochgerüsteten und zahlenmäßig weit überlegenen Streitmacht, haben wir in Deutschland nichts entgegenzusetzen.

Käßmann: Ich bin gegen alle Waffenexporte, das ist ja bekannt.

Wäre ein Blutvergießen in der Ukraine mit Abschreckung zu verhindern gewesen?

Käßmann: Putin abschrecken? Mit Waffen? Das glaube ich nicht.

Wächter: Die Ankündigung von massiven Sanktionen sollte ja abschrecken.

Und wenn der Westen die Ukraine in die NATO aufgenommen hätte?

Wächter: Das hätte eine noch viel schnellere Eskalation zur Folge gehabt.

Käßmann: Ich weiß nicht, ob man Putin überhaupt hätte bremsen können in seiner Fantasie von einem Großrussland. Martin Kimani, UN-Botschafter Kenias, sagte gerade: Wenn die Länder Afrikas anfangen würden, die von den Kolonialherren gezogenen Grenzen aufgrund von religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten infrage zu stellen, hätten wir ein Blutbad von Jahrzehnten. Wir können nicht sagen – wie damals in Ex-Jugoslawien – die Schlacht auf dem Amselfeld von 1369 ist der Grund, warum wir jetzt territoriale Veränderungen wollen. Deutschland muss die Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg anerkennen, und so muss Russland begreifen, dass es nach dem Ende der Sowjetunion freie, eigenständige Völker gibt. Die Ukraine ist eines davon.

Ist es richtig, dass das NATO-Bündnis zusammenhält und in den baltischen Staaten aufrüstet?

Käßmann: Ich finde richtig, dass das NATO-Bündnis zusammenhält, obwohl ich mir natürlich eine Welt ohne Waffen wünsche. Aufrüstung halte ich für keine Lösung.

Wächter: Wäre ich baltischer Bürger, würde ich vermutlich denken: Wenn Putin dort fertig ist, sind wir als Nächstes dran. Es gibt ja eine große russische Minderheit in Estland, und denen sagt Putin, er halte seine schützende Hand über sie. Er versteht ja, alles zu verdrehen, und könnte auch das als Vorwand für eine militärische Intervention nutzen. Prinzipiell kann ich der Logik der Abschreckung folgen: Wenn du mich haust, kannst du sicher sein, dass ich mich wehre. Und die Gefahr, sich selbst eine blutige Nase zu holen, kann dann den Angreifer umstimmen. Ich frage mich aber, was schlimmer ist: zu kapitulieren und eine Fremdherrschaft zu erdulden, in der Hoffnung, dass sich die Zeiten ändern? Oder aber sich mit allen Mitteln zu verteidigen und dabei in Kauf zu nehmen, dass alles zerstört wird? Ich denke da an die Bilder von syrischen Städten wie zum Beispiel Homs.

Käßmann: Man muss alles tun, um zu deeskalieren. Wenn die NATO und Russland aneinandergeraten, haben wir einen Weltkrieg. Die Sanktionen müssen richtig lang durchgehalten werden – und einig. Aber was auch klar ist: Wenn wir Russland kein Gas mehr abkaufen - was ich richtig finde -, wird es die Russinnen und Russen treffen und nicht Wladimir Putin in seinem Schloss.

(aus: chrismon.de v. 25.02.2022)

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