Daniel Staffen-Quandt © epd
Internatsleben? Was viele nur noch aus Harry Potter kennen, praktiziert der Neuntklässler Paul Schießl seit über sechs Jahren. Er singt im Windsbacher Knabenchor. Das weltberühmte Musikensemble feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag.
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Höhepunkt h-moll Messe
Dass das gelingt, das liegt auch an Chorleiter Martin Lehmann, dem Herz und Hirn der Windsbacher. Er ist erst der dritte Leiter, den der Chor nach Hans Thamm und Karl-Friedrich Beringer hat. "Und er versucht alles, dass jeder von uns dieses Jahr noch mal auf die Bühne kommt", sagt Schießl. Für sein bisheriges Highlight beim weltbekannten Knabenchor würde es dieses Jahr allerdings wegen der Corona-Einschränkungen eng: "Dass ich mit dem Chor die h-Moll-Messe von Bach singen durfte - das war das Schönste überhaupt. Diese Musik ballert halt auch wirklich rein."
Nach "Feierabend" übrigens muss es für Schießl und viele andere Sänger keine Klassik sein. "Electronik und Rock" höre er in seiner Freizeit, sagt der Teenager. Und auch nicht jeder Windsbacher wird Kirchen- und Berufsmusiker: "Ich kann mir vorstellen, das weiterhin als Hobby zu machen - in einem kleinen Ensemble oder Chor." Beruflich allerdings will Schießl nach dem Abitur lieber was Handfestes machen. Zum Beispiel eine Schreinerlehre. "Da habe ich jetzt eine Woche Praktikum gemacht, trotz Corona. Das fand ich schon ziemlich gut."
Singbegeisterten Jungen bietet die Ausbildung beim Windsbacher Knabenchor vielfältige Chancen. In den Klangfänger-Singschulen können Grundschüler der 1. bis 4. Klasse unverbindlich das Chorsingen kennenlernen. Nachwuchstalente im Alter von 9 bis 11 Jahren oder ältere Quereinsteiger sind zum Vorsingen eingeladen. Mit einem Kinder- oder Volkslied können sie sich bei Chorleiter Martin Lehmann vorstellen und um die Aufnahme in den Knabenchor bewerben. Weitere Informationen und Anmeldung auf der Internetseite.
Im März 1946 zogen die ersten 91 Internatsschüler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in das wiedereröffnete Pfarrwaisenhaus im mittelfränkischen Örtchen Windsbach. Wie aus dem Nichts formte der junge Hans Thamm, der von Dekan Heinrich Bohrer als Musiklehrer geholt worden war, in kürzester Zeit einen Chor, der zu Weltruhm gelangte. 1978 übernahm Karl-Friedrich Beringer die Leitung. Er machte die Knaben weltbekannt, 1983 gab es die erste Konzertreise nach Amerika, 1990 nach Russland, 1995 nach Japan. Es gibt aber auch "dunklen Stunden" in der Geschichte des Chores: 2004 gab es Vorwürfe gegen Beringer wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Ermittlungen bestätigten diese Vorwürfe allerdings nicht. 2010 schließlich, drei Jahre nach Thamms Tod, erhoben Ehemalige Vorwürfe gegen den Chorgründer wegen angeblicher Misshandlungen. Der heutige Chorleiter Martin Lehmann stammt aus Dresden und hat seine musikalischen Wurzeln im dortigen Kreuzchor.