Viele Ukrainer sind bereits in Aachen angekommen. Viel mehr Kriegsflüchtlinge werden noch erwartet. Das hat die Arbeitsplattform Migration als Anlass genommen, über ihre Arbeit zu berichten und auch ein paar Missstände aufzuzeigen.
Durch ihre bisherige Arbeit sind die beteiligten Wohlfahrtsverbände (Der Paritätische mit seinen Mitgliedsorganisationen Café Zuflucht und Pädagogischem Zentrum, Diakonisches Werk im Kirchenkreis Aachen e.V., Deutsches Rotes Kreuz in der Städteregion Aachen, Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land e. V. und AWO Kreisverband Aachen-Land e.V.) bereits sehr gut aufgestellt und gut vernetzt. Es gibt Angebote zur psychosozialen Beratung und Betreuung von Flüchtlingen, Hilfe bei ausländerrechtlichen Fragen, Hotlines, bei der sich auch Ehrenamtliche melden können, Spendenkonten und auch in Fragen der Unterbringung wird weitergeholfen. Das Deutsche Rote Kreuz der Städteregion Aachen hat seit dem 10.3.2022 neun Übergangswohnheime in Betrieb genommen, in acht davon sind bereits Ukrainer untergekommen. Darüber hinaus wurden vier Turnhallen in Betrieb genommen, mehr sollen noch dazu kommen. Wer sich als Helfer registrieren lassen möchte, oder einen Überblick über die verschiedenen Spendenmöglichkeit bekommen möchte, kann sich auf der Homepage des DRK informieren: https://mit-uns-helfen.de/. Dort gibt es auch den direkten Kontakt zur Hotline.
Vernetzung und soziale Medien als Katalysator
Auch das Thema der Sozialen Medien sei nicht zu unterschätzen, so Raquel Barros, Leiterin der Werkstatt der Kulturen im Diakonischen Werk im Kirchenkreis Aachen. Dies sei ein wichtiges Medium, um die Menschen zu informieren. Außerdem könnten, so Marie-Therese Aden-Ugbomah, Leiterin des Pädagogischen Zentrums in Aachen, Soziale Medien einen Beitrag dazu leisten, wie der Blick auf die Flüchtlinge geworfen wird.
Auch die Vernetzung der einzelnen Wohlfahrtsverbände sei wichtig. Denn, so Manuela Aye, Kreisgruppengeschäftsführerin Der Paritätische: „Jede unserer Organisationen hat mit dem Thema zu tun. Wir ergänzen uns, aber in unserer Form sind wir originär.“ Und durch eine Struktur untereinander wird es einfacher, dass die Hilfe da ankommt, wo es sein soll – nämlich bei den Menschen, die Hilfe benötigen.
Diskriminierung von Drittstaatsangehörigen
Hilfe ist dringend nötig: Die Arbeitsplattform Migration rückte hier eine Gruppe besonders in den Fokus: Drittstaatsangehörige, die zum Beispiel zum Studium oder zum Arbeiten in die Ukraine gegangen sind, und nun ebenfalls von dort fliehen müssen. Da sie jedoch aus Drittstaaten kommen, stünden ihnen meistens nicht dieselben Rechte zur Verfügung wie den ukrainischen Geflüchteten, beispielsweise bei der Einreise. Auch bei der Ausreise gäbe es Probleme. Zudem seien die Drittstaatsangehörigen vermehrt rassistischen Angriffen ausgesetzt. Hier möchte unter anderem das pädagogische Zentrum als Ansprechpartner für diese Zielgruppe fungieren, um den Menschen Perspektiven zu schaffen. Die meisten von ihnen stünden vor dem Nichts, denn sie hätten ihr gesamtes Geld in das Studium gesteckt, weiß Frau Aden-Ugbomah zu berichten.
Das Ausmaß der Trauer ist nicht absehbar
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für die Arbeitsplattform Migration die Trauma-Beratung. Im pädagogischen Zentrum wird durch zusätzliche Fördermittel der Stadt Aachen eine Stelle in der psychologischen Beratung für 3 Monate geschaffen, um die erwartete Nachfrage bedienen zu können. Aber auch schon bei der Fortbildung der Pädagogen muss angesetzt werden, denn wie geht man mit traumatisierten Menschen um?
Klar ist: Das Ausmaß der Trauer lässt sich derzeit noch gar nicht bemessen. Das wird erst sichtbar, wenn die Menschen zur Ruhe gekommen sind, so wie man das jetzt im Moment bei den Flutopfern beispielsweise in Schleiden erleben kann. Um das aufzufangen, bräuchte es laut Aden-Ugbomah mehr Personal, um die entsprechenden ergänzenden Angebote schaffen zu können.
Ein großes Problem sehen die Vertreter*innen der Wohlfahrtsverbände dabei in der psychologischen Betreuung der Menschen in ihrer Muttersprache. Dadurch, dass Dolmetscher fehlen, würden viele Menschen mit ihrem Trauma allein gelassen. Marinko Kalić vom Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land e. V. sieht in dem Fehlen ausreichender Hilfsangebote in der Muttersprache noch eine Lücke, die geschlossen werden müsste.
Kein Asylantrag nötig
Im Vergleich zur Flüchtlingskrise 2015/16 sind diesmal in der Hauptsache Frauen und Kinder unterwegs. Zudem ist die geografische Nähe zur Ukraine viel größer. Die Menschen kommen mit kostenlosen Zugtickets schnell zu uns. Aufenthaltsrechtlich ist eine Sache ganz besonders wichtig: Die Geflüchteten mit ukrainischer Staatsbürgerschaft haben nach Paragraph 24 Aufenthaltsgesetz die Möglichkeit, 3 Jahre hier in Deutschland zu bleiben und müssen dafür keinen Asylantrag stellen.
Das ist gut, denn ein Asylverfahren bedeutet erneut eine große Belastung für die Menschen, die sich im schlimmsten Fall, so Susanne Bücken, Geschäftsführerin vom Café Zuflucht, Re-Traumatisierend auswirken würde. Stattdessen sind, zumindest noch derzeit, die Leistungen, wie zum Beispiel eine Wohnung, schnell gegeben. Auch privat kommen noch viele Menschen unter. In einem sind sich alle Wohlfahrtsverbände einig: 2015 war das ehrenamtliche Engagement schon hoch, aber jetzt ist es beeindruckend. Wichtig sei es nun dafür zu sorgen, dass es keine Flüchtlinge 2. Klasse gäbe.
So hätten laut Bücken, Drittstaatsangehörige, die aus der Ukraine geflüchtet sind, nicht den gleichwertigen Schutz wie die Ukrainer. Und auch seien Menschen, die nach 2015 als Geflüchtete zu uns gekommen sind, rechtlich benachteiligt, zum Beispiel bei gesundheitlichen Problemen und beim Familiennachzug. Hier bestünde noch Handlungsbedarf.
Austauschprozesse weiter ausbauen
Ebenfalls Verbesserungsbedarf sehen die Wohlfahrtsverbände bei engmaschigerer Abstimmung mit Stadt und Städteregion Aachen. Zwar blickt das DRK in der Städteregion Aachen auf einen guten Austausch mit der Kommune, die anderen Wohlfahrtsverbände sehen jedoch noch Luft nach oben. So sei laut Aden-Ugbomah die Zusammenarbeit eher punktuell, und Facheinrichtungen würden nicht mit ins Boot geholt. Auch wäre es schade, dass der Informationsfluss nicht sehr gut sei, und man vieles erst aus der Presse erfahren würde. Auch Frau Aye vom Paritätischen würde begrüßen, wenn die Austauschprozesse noch weiter ausgebaut werden würden und Frau Keßler-Wiertz ergänzt: „Eine Abgestimmte Vernetzung wäre effektiver für die Menschen, für die man arbeitet. Denn die Netzwerke der Wohlfahrtsverbände könnten mit ihrer Fachexpertise ergänzend als Unterstützung genutzt werden.“
Hier gibt es einen weiteren Artikel zu dem Thema:
https://www.aachener-zeitung.de/lokales/aachen/region-hat-nachholbedarf-bei-vorbereitungen-auf-gefluechtete_aid-67384331